Soziales
Immer wieder werden Frauen in Österreich von ihrem Partner oder Ex-Partner misshandelt oder ermordet. Hanife Ada aus Groß Enzersdorf (Bezirk Gänserndorf) wäre in ihrer Ehe fast zu Tode gekommen. Heute hilft sie Frauen, der Misshandlung zu entkommen.
20. November 2023, 5.23 Uhr
Hanife Ada redet und lacht viel. Man merkt ihr nicht an, was sie 28 Jahre lang durchmachen musste. Das ändert sich aber, sobald die gebürtige Türkin darüber zu sprechen beginnt. Immer wieder kommen ihr dabei die Tränen. Ihr Martyrium begann, als sie 14 Jahre alt war und, bereits in Österreich, verheiratet wurde. Vom ersten Tag ihrer Ehe an war ihr Mann ihr gegenüber gewalttätig, sagt sie. Später misshandelte er ihr zufolge auch die vier gemeinsamen Kinder. Geholfen hat niemand.
„Ich habe einmal eine Frau, die im elften Bezirk in Wien neben uns gewohnt hat, gefragt: Haben Sie meine Kinder und mich nie schreien oder weinen gehört? Sie hat ihren Kopf hängen lassen und gesagt: ‚Ja, ich habe euch immer gehört, immer.‘ Ich habe gesagt: ‚Warum haben Sie nichts unternommen?‘ Wissen Sie, was sie gesagt hat? Das werde ich nie vergessen: ‚Ich hab geglaubt, das ist bei euch üblich so.‘“ Ein Vorurteil, mit dem Ada aufräumen will, denn sie weiß: Gewalt kommt quer durch alle Gesellschaftsschichten, Religionen und Kulturen vor.
Forderung nach härteren Strafen
26 Frauen wurden heuer bereits laut Medienberichten ermordet, heißt es vom Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser. Bei 25 davon handelte es sich um Femizide. Die Frauen wurden also wegen ihres Geschlechts umgebracht oder, weil sie in den Augen der Täter gegen traditionelle soziale und patriarchale Rollenbilder verstoßen haben. Hinzu kamen 38 Mordversuche.
Die vielen Fälle erschüttern Hanife Ada: „Es kommt viel bei mir hoch.“ Seit 2012 hilft sie mit dem von ihr gegründeten Verein „Yetis Bacim“, zu Deutsch „Hilf mir, Schwester“, von Gewalt betroffenen Frauen. Die Kommunikation erfolgt überwiegend über Facebook, die Online-Gruppe hat mehr als 16.000 Mitglieder aus zahlreichen Ländern. Ada spricht dort fast täglich live und berichtet von Frauen, die Hilfe brauchen.
„Und dann melden sich genau solche Frauen, die einmal selbst in dieser Situation waren oder die niemanden haben und ihre Situation verstehen“, so Ada. So werden regelmäßig temporäre Unterkünfte vermittelt und auch bei Sprachbarrieren wird einander geholfen. Um die Frauen finanziell unterstützen zu können, veranstaltet Ada außerdem regelmäßig Flohmärkte. Für manche besorgt sie Flugtickets in ihre Heimat, zurück zur Familie, anderen hilft sie, einen Platz in einem Frauenhaus zu bekommen. Ada ist laufend mit den hilfesuchenden Frauen in Kontakt, ihr Handy summt und surrt ungewöhnlich oft.
Ihre Forderung an die Politik ist klar: Härtere Strafen für die Gewalttäter. „Haben Sie einmal einen Täter gesehen, der lebenslänglich bekommen hat oder jemanden, der nach einer Wegweisung eingesperrt wurde?“, fragt sie und betont, dass die Strafen abschrecken müssten. Außerdem ruft sie dazu auf, bei Gewalt nicht wegzuschauen. Auch Männer sollten helfen: „‚Das geht uns nichts an‘ – doch, das geht uns etwas an. Das könnte meine Schwester sein, es könnte deine Tochter sein. Man muss es ansprechen, einfach darüber sprechen, viel darüber sprechen.“
2024: Übergangswohnungen für Betroffene
Der Bedarf an Hilfe ist jedenfalls groß. Nur 19 Plätze waren mit Stand 10. November in den niederösterreichischen Frauenhäusern frei, heißt es aus dem Büro der zuständigen Landesrätin Ulrike Königsberger-Ludwig (SPÖ). Die durchschnittliche Auslastung nach Zimmer lag im Jahr 2022 bei 80,68 Prozent. Nach einer Erhöhung der Fördersätze im vergangenen Jahr, werde nun ein neues Angebot in Form von Übergangswohnungen ausgearbeitet. 2024 soll es mit 17 Plätzen für von Gewalt betroffene Frauen in Betrieb gehen.
„Es ist mein klares Ziel, die Vorgaben der Istanbul-Konvention umzusetzen. Das würde für Niederösterreich zusätzlich 25 Plätze bedeuten. Darüber hinaus bin ich bestrebt, eine Unterstützung für die Infrastruktur herbeizuführen, da bisher nur der laufende Betrieb finanziert werden kann. Es ist aus meiner Sicht nicht mehr zeitgemäß, dass die Trägervereine das allein stemmen müssen", sagt Königsberger-Ludwig gegenüber noe.ORF.at. Sie setze sich außerdem für Qualitätsstandards ein.
Der Weg dürfte aber noch ein langer sein, wirft man einen Blick auf die Zahlen: Monatlich werden in Österreich im Schnitt drei Frauen ermordet, zeigt eine Auswertung der Statistik Austria aus dem Jahr 2021. Jede dritte Frau ab 15 Jahren ist von körperlich und oft auch sexueller Gewalt betroffen. Mehr als jede vierte Frau erlebt zudem sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, mehr als jede fünfte wird Opfer von Stalking. Es wird also wohl noch länger den unermüdlichen Einsatz von Helferinnen und Helfern wie Hanife Ada brauchen.
Author: Lauren Salazar
Last Updated: 1704644042
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